Die veröffentlichten Lagebilder des Bundeskriminalamts kommen einmal mehr zu dem besorgniserregenden Ergebnis, dass die Fälle von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt weiter steigen. Seit 2020 haben Fälle von häuslicher Gewalt um 17 Prozent zugenommen. 2024 waren allein 171.069 Personen von Gewalt in ihrer Paarbeziehung betroffen, was einer Zunahme von 1,9 Prozent zum Vorjahr entspricht. Insgesamt wurden 265.942 Fälle von häuslicher Gewalt registriert, im Vergleich zu 2024 ein Anstieg von 3,8 Prozent. Rund 80 Prozent der Betroffenen von Gewalt in Paarbeziehungen waren Frauen, in knapp 80 Prozent der Fälle übten Männer die Gewalt aus. 308 Mädchen und Frauen wurden 2024 getötet.
Die BKA-Statistiken können lediglich das Hellfeld abbilden. Es lässt sich nur erahnen, wie viele Menschen tatsächlich von geschlechtsspezifischer Gewalt und Gewalt in Familie bzw. Paarbeziehung betroffen sind. Doch bereits die registrierten Fälle verdeutlichen jedes Jahr das Ausmaß des Problems und den dringenden wie überfälligen Handlungsbedarf. Und auch ohne Bestätigung durch die jährlich veröffentlichten Zahlen ist das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen und häuslichen Gewalt längst ersichtlich. Erfahrungsberichte von Betroffenen, Expert*innen und Aktivist*innen, Medienberichte und wissenschaftliche Studien belegen seit Jahrzehnten die dramatische Lage und die Allgegenwärtigkeit der Gewalt.
Die Gewalt ist keine Privatangelegenheit, sondern ein gesellschaftliches Problem. Sie hat Struktur und ist Ausdruck von gesellschaftlichen Missständen, patriarchalen Machtverhältnissen und gewaltfördernden Geschlechtervorstellungen. Statt Kürzungen braucht es deshalb dringend umfassende Investitionen in die Gewaltprävention und die Betroffenenunterstützung. Die Gewaltschutzstrategie nach der Istanbul-Konvention muss weiter konkretisiert und umgesetzt werden. Gesetzliche Grundlagen müssen geschaffen werden, die die Gewalt in all ihren Formen adressieren und auf deren Prävention abzielen. Denn zu oft wird weiterhin von Betroffenen erwartet, sich selbst Hilfe zu suchen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Der Fokus wird immer noch zu selten auf Gewaltausübende und deren Inverantwortungsnahme gerichtet. Um das zu ändern, sind verbindliche gesetzliche Regelungen, die Gewaltausübende in Verantwortung nehmen und damit auf die Bearbeitung der Gewaltursachen abzielen, unabdingbar.
Der vorliegende Entwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG) sieht die Möglichkeit zur Anordnung von verpflichtender Täterarbeit durch Familiengerichte vor und ist daher zu begrüßen. Dass keinerlei Kriterien für eine Anordnung benannt und keine verbindlichen Aussagen zur Ausrichtung getroffen wurden, schmälert die Qualität der geplanten Maßnahme allerdings entscheidend.
Neben sozialen Trainingskursen im Bereich der Täterarbeit wird im Entwurf auch das Format einer „Gewaltpräventionsberatung“ benannt. Hierbei soll ein neues Instrument für eine passende Erstintervention angeordnet werden können, um Normverdeutlichung, Krisenintervention und Gefährlichkeitseinschätzung vorzunehmen und die Eingriffsmöglichkeiten der Familiengerichte auszuweiten. Aus diesem Grund wird auch die BAG TäHG in den nächsten Tagen ein Konzept für Gewaltpräventionsberatungen vorlegen. Allerdings ersetzt dieses Format keinesfalls die Teilnahme an einem langfristigen ausgerichteten Täterprogramm, das auf die Etablierung nachhaltiger Verhaltensänderungen abzielt. Wie die BAG TäHG in ihrem Standard zur Arbeit mit Tätern in Fällen häuslicher Gewalt betont, sollten sich Täterprogramme über einen Zeitraum von mindestens sechs Monate erstrecken, um nachhaltige, gewaltfreie Verhaltensänderungen erreichen und Betroffene langfristig schützen zu können. Diesem Umstand muss bei justiziellen Weisungen auch künftig weiter Rechnung getragen werden.
Die erneut gestiegenen Betroffenenzahlen unterstreichen neben dem dringend gebotenen Ausbau der Schutzeinrichtungen auch die Erfordernis von Täterarbeit gemäß Standard der BAG TäHG und der Sicherstellung ihrer Finanzierung. Ein wirkungsvoller Gewaltschutz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfordert die Zusammenarbeit aller Akteur*innen in den Netzwerken auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen.
