Kontext:
Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wurde 2011 in Istanbul verabschiedet und ist mit Wirkung zum 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten. Seitdem ist die sogenannte Istanbul-Konvention (IK) geltendes Bundesrecht in Deutschland und im Rahmen der Auslegung von Gesetzen zu berücksichtigen. Viele Vorgaben der IK sind jedoch nicht oder nur unzureichend umgesetzt (Vgl. Alternativbericht des Bündnis Istanbul-Konvention 2021) und werden von den Gerichten, Behörden und anderen staatlichen Einrichtungen nicht in letzter Konsequenz angewandt.
Vorgaben der Istanbul-Konvention zur Koordinierungsstelle:
Artikel 10 IK verpflichtet die Vertragsstaaten zur Errichtung einer oder mehrerer staatlicher Stellen, die für die Koordinierung, Umsetzung, Beobachtung und Bewertung der politischen und sonstigen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verantwortlich sind. Wegen des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland kann die Einrichtung einer gemeinsamen Koordinierungsstelle sinnvoll sein, um Maßnahmen bundesweit zu koordinieren (vgl. Erläuternder Bericht IK, S.53). Diese Koordinierungsstelle soll die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Ressorts auf Bundes- und Länderebene sowie deren jeweilige (Mit-) Verantwortung für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sicherstellen. Die staatliche Koordinierungsstelle soll zudem die Wirksamkeit der Umsetzung politischer Ansätze und Maßnahmen bewerten. Die Bewertung der Ansätze und Maßnahmen erfordert eine enge Kooperation mit der Berichterstattungsstelle (Art. 11 IK), um ihre Wirkungen anhand solider Daten beurteilen zu können. Die Koordinierungsstelle muss bei identifizierten Datenlücken die Nachsteuerung beauftragen können. Der erläuternde Bericht gibt vor, dass durch die Bewertung „unerwünschte Auswirkungen“ (Istanbul-Konvention, S.54) aufgedeckt werden und überprüft wird, ob die Maßnahmen den Bedürfnissen der Opfer entsprechen. Um dieser Verpflichtung verantwortungsbewusst nachzukommen, muss eine zuverlässige Kooperationsstruktur zwischen der Koordinierungsstelle und der Zivilgesellschaft geschaffen werden.
Aktuelle Situation:
Die in der Bundesrepublik auf Bund- und Länderebene bestehenden Vernetzungs- und Koordinierungsstrukturen zur Umsetzung der IK erfüllen diese Anforderungen bislang nicht. (Alternativbericht des Bündnis Istanbul-Konvention, S. 25 ff) Auf Bundesebene fehlt es gänzlich an einer Koordinierungsstelle, die im Sinne des Artikel 10 arbeitet. Auch auf Länderebene gibt es keine einheitliche Umsetzung der Konvention. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition wurde die Errichtung einer staatlichen Koordinierungsstelle im Sinne der Istanbul-Konvention angekündigt. (Koalitionsvertrag, S.114)
Empfehlungen des Bündnis Istanbul-Konvention:
Das Bündnis empfiehlt eine hoch in der administrativen Hierarchie, mindestens auf Staatssekretär*innenebene, verankerte Koordinierungsstelle. Damit die Errichtung langfristig und unabhängig von der Zusammensetzung der Bundesregierung gewährleistet wird, rät das Bündnis zu einer gesetzlichen Regelung der Aufgaben, Rechte und Pflichten der Koordinierungsstelle. Diese Regelung ermöglicht eine klare Aufgabenverteilung zwischen allen relevanten Ressorts (BMJV, BMI, BMAS, BMFSFJ und BMG) und verankert entsprechende Weisungsbefugnisse zur verpflichtenden Umsetzung der Maßnahmen sowie die Teilnahme an Arbeitsgruppen zur Umsetzung der IK.
Um die Wirksamkeit der Umsetzung politischer Ansätze und Maßnahmen bewerten zu können, empfiehlt das Bündnis, diese Prozesse transparent zu gestalten. Hierzu wird die Erstellung von Aktionsplänen unter Einbezug aller politischen Ebenen des föderalen Systems empfohlen, sodass für alle betroffenen Ministerien überprüfbare Ziele, konkrete Zeitpläne und eine Verbindlichkeit zur Einhaltung der politischen Maßnahmen vorliegen. Der Bremer Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention setzt auf Länderebene gute Maßstäbe hierfür.
Das Bündnis fordert, zivilgesellschaftliche Organisationen in einem offiziellen Beirat aktiv bei der Umsetzung der IK einzubeziehen und in Entscheidungsprozesse zu involvieren, wie es sich bereits in Spanien bewährt (GREVIO-Bericht zu Spanien). So kann gewährleistet werden, dass sich die Umsetzung der Konvention an diversen Lebensrealitäten gewaltbetroffener Frauen orientiert und intersektional ausgerichtet ist.
Das Bündnis empfiehlt außerdem, dass die Koordinierungsstelle mit Unterstützung der Zivilgesellschaft die Erarbeitung einer ressortübergreifenden politischen Strategie, die die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt, initiiert. Die Strategie legt überprüfbare Ziele fest, schreibt Zeitschienen vor, beinhaltet klar geregelte Verantwortlichkeiten und stellt umfassende finanzielle Mittel bereit.
Das Bündnis Istanbul-Konvention:
Das Bündnis Istanbul-Konvention (BIK) ist ein Zusammenschluss von 25 Frauenrechtsorganisationen und Bundesverbänden mit dem Arbeitsschwerpunkt Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Seit dem Frühjahr 2018 verfolgt das Bündnis das Ziel, als Teil der Zivilgesellschaft die verbindliche Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland zu begleiten, zu überwachen und voranzutreiben sowie das öffentliche Bewusstsein für die IK zu stärken.
Mitgliedsorganisationen: BAG Autonome Mädchenhäuser, BAG Forsa e.V., BAG kommunaler Frauenbüros, BAG Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V., BAG Wohnungslosenhilfe e.V., Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V., bff – Frauen gegen Gewalt e.V., BIG e.V., BVFeSt e.V., Cora – Frauen helfen Frauen e.V. Rostock, DaMigra e.V., Deutscher Frauenrat e.V., djb e.V., Frauenhauskoordinierung e.V., gesine intervention, JUMEN, KOK e.V., medica mondiale e.V., MIA e.V. i.G., PRO ASYL e.V., S.I.G.N.A.L. e. V., Weibernetz e. V., Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser
Beratende Expert*innen: Prof. Dr. Ariane Brenssell, Ostfalia Hochschule Braunschweig/Wolfenbüttel; Karin Heisecke, politische Beraterin und Expertin zu Gewalt gegen Frauen; Dr. Monika Schröttle, Forschungs- und Beobachtungsstelle Geschlecht, Gewalt, Menschenrechte (FOBES) am Institut für empirische Soziologie, Nürnberg; Prof. Dr. Kathrin Schrader Frankfurt University of Applied Science
Kontakt für das Bündnis: Xenia Bukowsky, Koordinatorin Bündnis Istanbul-Konvention, 030 204569- 45, bukowsky@frauenrat.de