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Pressemitteilung: Täterarbeit ins Regierungsprogramm! – Wahlforderungen zur Bundestagswahl 2025

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (BAG TäHG) hat ihre Wahlforderungen zur Bundestagswahl 2025 veröffentlicht. Der Dachverband von 91 Täterarbeitseinrichtungen in Deutschland fordert u.a. die Umsetzung der Istanbul-Konvention, eine Reform des Sorge- und Umgangsrechts, konsequente Gleichstellungspolitik und den Ausbau von Täterarbeit.

Linda Conradi (Geschäftsleitung): „Mit unseren Forderungen machen wir klar, dass Gewaltschutz, Prävention und Gleichstellungspolitik keine optionalen Handlungsfelder sind. Wir brauchen in der neuen Legislatur eine Politik, die die Überwindung von Gewalt und Diskriminierung ins Zentrum ihres Handelns stellt und die Ursachen von geschlechtsspezifischer wie häuslicher Gewalt adressiert.“

1. Antifeminismus bekämpfen – Demokratie stärken

Wir beobachten das Erstarken rechtsextremer, demokratiefeindlicher Akteur*innen und die Normalisierung menschenfeindlicher Positionen mit großer Sorge. In Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks fordern wir eine Politik, die sich klar gegen Rechtsextremismus positioniert, unsere Demokratie stärkt und sich für die Rechte aller Menschen unabhängig von Geschlecht, Sexualität oder Herkunft einsetzt.

    Der zunehmenden Gewalt gegen Frauen und TIN*-Personen, dem systematischen Sexismus, dem organisierten Antifeminismus muss eine Politik entgegenstellt werden, die entschieden für die Gleichstellung aller Geschlechter einsteht – im Sinne aller diskriminierten Menschen und auch im Sinne unserer Demokratie.  Denn über antifeministische Positionen werden rechtsextreme Akteur*innen für andere Gesellschaftsgruppen anschluss- und mehrheitsfähig. Unsere Demokratie und die darin lebenden Menschen zu schützen heißt auch, Antifeminismus als zentralen Faktor rechtsextremer Mobilisierung zu erkennen und mit konsequenter Gleichstellungspolitik zu begegnen.

    Konkret fordern wir dafür einen bundesweiten Aktionsplan gegen Antifeminismus, der die Vielschichtigkeit des Phänomens berücksichtigt und auf die Sensibilisierung der   Gesellschaft abzielt. Die geschlechtersensible Bildungsarbeit muss ausgebaut werden. Programme im Bereich Demokratieförderung und Geschlechtergleichstellung sind ebenfalls auszubauen und mit ausreichend Ressourcen auszustatten. Vonseiten des Deutschen Bundestags braucht es Rückendeckung für feministische Organisationen, die sich für (mehrfach) marginalisierte Menschen einsetzen und unsere Demokratie stärken.

    2. Istanbul-Konvention umsetzen – Betroffenenschutz garantieren

    Sieben Jahre nach Inkrafttreten ist die Istanbul-Konvention (IK) in Deutschland nur unzureichend umgesetzt. Wie die Evaluationen des Europarats und des Deutschen Instituts für Menschenrechte zeigen, bestehen weiterhin gravierende Defizite in der Bekämpfung und Verhütung von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Dennoch werden konkrete Vorhaben wie das Gewalthilfegesetz verschleppt, Gelder im Betroffenenschutz eingespart, Präventionsarbeit vernachlässigt, Betroffene von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt im Stich gelassen. Das muss sich ändern!

    Die Umsetzung der IK und der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt müssen in der neuen Legislaturperiode absolute Priorität haben. Betroffenen muss ein kosten-, barriere- und diskriminierungsfreier Zugang zu Schutz- und Beratungsangeboten garantiert werden. Ein stärkerer Fokus auf die Bedarfe von mehrfach marginalisierten Menschen ist überfällig. Darüber hinaus müssen deutlich mehr finanzielle Ressourcen für Schutzräume, Beratungsstellen und Täterarbeitseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Nur so kann ein flächendeckendes Angebot gewährleistet, bestehende Strukturen ausgebaut und die Vernetzung der einzelnen Akteur*innen gestärkt werden. Die Einsetzung einer staatlichen Koordinierungsstelle zur Umsetzung der IK ist ebenso unerlässlich wie die Fortschreibung der kürzlich veröffentlichten Gewaltschutzstrategie und verpflichtende Fortbildungen für alle beteiligten Berufsgruppen. Arbeiten wir gemeinsam daran, die Konvention umzusetzen. Denn jeder Mensch hat ein Recht auf ein gewaltfreies Leben.

    3. Für Kindeswohl einsetzen – Kinder als (Mit-)Betroffene schützen

    Sowohl direkte Gewalterfahrungen als auch das Miterleben von häuslicher Gewalt haben massive Auswirkungen auf (mit-)betroffene Kinder. Die Folgen sind vielfältiger Natur, nicht immer direkt erkennbar und können von Lernschwierigkeiten bis zu Traumatisierungen oder körperlichen Gesundheitsschäden reichen. Kinder sind darüber hinaus einem hohen Risiko ausgesetzt, Gewalt als Konfliktverhalten zu übernehmen und in späteren Beziehungen selbst Gewalt auszuüben oder davon betroffen zu sein. Viele der gewaltbetroffenen und -ausübenden Personen haben als Kinder selbst häusliche Gewalt erlebt. Im Sinne der Gewaltprävention ist es daher unabdingbar, Kinder als Betroffene stärker wahrzunehmen und zu schützen.

    Wir fordern den Ausbau und die Finanzierung von Beratungsangeboten für betroffene Kinder. Kinder haben ein Recht auf professionelle Unterstützung, um das Erlebte zu verarbeiten und gewaltfrei aufzuwachsen. Jugendämter, Familienrichter*innen, Verfahrensbeistände und andere beteiligten Institutionen müssen nach den Vorgaben der IK sensibilisiert und verpflichtend fortgebildet werden, um Gewalt gegen Kinder oder Elternteile erkennen und im Sinne des Kindeswohls reagieren zu können. Wir fordern zudem eine Reform des Sorge- und Umgangsrechts. Der Schutz von Betroffenen und Kindern vor erneuter Gewalt muss in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren priorisiert, häusliche Gewalt regelhaft als Kindeswohlgefährdung anerkannt werden. Ein (begleiteter) Umgang darf nur dann erfolgen, wenn die gewaltausübende Person eine Gewaltverzichtserklärung unterschreibt und verpflichtend an einem qualifizierten Täterprogramm teilnimmt. 

    4. Täterarbeit ausbauen – Bewusstsein schaffen

    Die IK verpflichtet Deutschland in Artikel 16 zur Einrichtung von Täterarbeitsprogrammen. Dennoch existiert weiterhin kein flächendeckendes, mit ausreichend Ressourcen ausgestattetes Netzwerk an qualifizierten Täterarbeitseinrichtungen. Zudem fehlt es institutionsübergreifend an Wissen über Täterarbeit, sodass lediglich ein Bruchteil der Gewaltausübenden in den Einrichtungen ankommt. Die Chance, Betroffene langfristig zu schützen, (weitere) Gewalt präventiv zu verhindern und gesellschaftliche Kosten zu reduzieren, wird dadurch vertan.

    Der Ausbau von Täterarbeit muss in den Regierungsprogrammen explizit festgeschrieben werden! Der Bund und die Länder haben die Pflicht, ein flächendeckendes, barrierefreies Täterarbeitsangebot sicherzustellen. Wir fordern, dass Gewaltausübende in Fällen von häuslicher Gewalt konsequent zur Teilnahme an qualifizierten Programmen verpflichtet werden. Der proaktive Ansatz muss auch für die Täterarbeit gewährleistet werden. Dafür braucht es nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern rechtliche Grundlagen auf Bundesebene sowie Fortbildungsangebote zu Täterarbeit in Polizei und Justiz. Sowohl auf politischer wie gesamtgesellschaftlicher Ebene muss ein Bewusstseinswandel stattfinden, der sich auch in der Gesetzgebung niederschlägt. Wir müssen Gewaltausübende endlich stärker in die Verantwortung nehmen, um Gewalt zu beenden und Betroffene zu schützen.  

    5. Täterarbeit qualitativ absichern – Standardisierung fördern

    Täterarbeit ist ein wichtiger Bestandteil des Gewalthilfesystems. Sie dient nicht nur der direkten Intervention, sondern verfolgt einen präventiven Ansatz, in dem die Gewaltursachen bearbeitet und dadurch (potenziell) Betroffene langfristig geschützt werden. Damit Täterarbeit wirkt, darf sie nicht beliebig stattfinden. Sie braucht einen Standard, der zeitliche Dauer und Inhalte festlegt, und muss in Kooperationsbündnissen stattfinden. Deshalb hat die BAG TäHG gemeinsam mit der Frauenunterstützung und dem BMFSFJ einen Standard zur Arbeit mit männlichen Tätern entwickelt, der den Vorgaben aus der IK entspricht.

    Der Europarat hat Deutschland 2022 dazu aufgefordert, seine Bemühungen zu verstärken, um durch eine nachhaltige öffentliche Finanzierung Täterarbeit flächendeckend sicherzustellen. Nur mit einer ausreichenden Finanzierung kann qualitativ hochwertige Täterarbeit angeboten werden. Im Sinne des Betroffenenschutzes muss deshalb die Qualitätssicherung in der Täterarbeit stärker unterstützt und gefördert werden. Einrichtungen sind mit den erforderlichen finanziellen Mitteln auszustatten, damit Täterarbeit nach Standard angeboten werden kann. Das bedeutet auch, dass die Arbeit in lokalen Kooperationsbündnissen sowie Fort- und Weiterbildungen bei der Finanzierung mitberücksichtigt werden. Bei der Ausgestaltung von Förderrichtlinien ist die Arbeit nach Standard zu berücksichtigen, um Verbindlichkeit zu schaffen und qualifizierte Täterarbeit zu gewährleisten.

    6. Weiterentwicklung von Täterarbeit gewährleisten – Gewaltschutz voranbringen

    Täterarbeit ist ein junges Arbeitsfeld im Bereich des Gewaltschutzes, ihre Potenziale sind noch nicht vollständig ausgeschöpft. Standardisierte Angebote existieren bislang ausschließlich für gewaltausübende Männer in heterosexuellen Beziehungen, unterschiedliche lokale Strukturen und Finanzierungsmodelle beeinflussen Zugangswege, Weiterbildungsmöglichkeiten und die Arbeit vor Ort.

    Als Dachverband leisten wir einen wichtigen Beitrag bei der Umsetzung der IK. Wir arbeiten an der Umsetzung des proaktiven Ansatzes in der Täterarbeit und der ersten bundesweiten Täterarbeit-Statistik.[v] Wir bieten Fort- und Weiterbildungen für Fachkräfte in der Täterarbeit an und führen Fachveranstaltungen durch. Unser Ziel ist es, standardisierte, am Betroffenenschutz ausgerichtete Täterarbeit weiterzuentwickeln und für weitere Zielgruppen auszubauen. Dazu gehören Angebote für nicht männliche Personen, Menschen mit Beeinträchtigung, Täterarbeit im Strafvollzug und dolmetscher*innengestützte Beratung.

    Täterarbeit muss weiter professionalisiert und ausgebaut werden. Die nachhaltige Finanzierung der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V., die aktuell 91 Einrichtungen vertritt und sich in verschiedenen Bündnissen gegen häusliche Gewalt einsetzt, ist dafür essentiell. Wir fordern, sowohl unsere Mitglieder als auch den Dachverband finanziell abzusichern und damit die Basis für eine Weiterentwicklung der Täterarbeit und des Gewaltschutzes zu schaffen. Täterarbeit ins Regierungsprogramm!


    Ansprechperson

    Linda Conradi
    Geschäftsleitung
    info@bag-taeterarbeit.de

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