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Zur Berücksichtigung von Täterarbeit bei der Ausgestaltung des Gewalthilfegesetzes

Hintergrund:

Das Inkrafttreten des Gewalthilfegesetzes (GewHG) im Februar 2025 stellt einen Meilenstein im Einsatz für einen besseren Gewaltschutz dar und ist das Ergebnis jahrzehntelangen feministischen Engagements. Kernziel des Gesetzes ist, die bisherige Unterversorgung des Gewalthilfesystems in Deutschland zu beheben und ein bedarfsgerechtes Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt bereitzustellen. Die Länder werden dazu verpflichtet, ein flächendeckendes Netz an Schutz- und Beratungsangeboten sicherstellen. Ab 2032 haben gewaltbetroffene Frauen einen individuellen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung (§ 3 GewHG).

Doch nicht nur die Bereitstellung von ausreichenden und bedarfsgerechten Schutz-, Beratungs- und Unterstützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen sind im GewHG festgeschrieben. Zur Erreichung des Kernziels sollen darüber hinaus dringend erforderliche Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Angebote, die sich an gewaltausübende Personen richten, werden als konkrete Maßnahme benannt (§ 1 Absatz 2 GewHG). Außerdem soll die strukturierte Vernetzungsarbeit innerhalb des Hilfesystems und mit weiteren Kooperationspartner*innen gestärkt und die Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden (§ 1 Absatz 2 und 3 GewHG). Um die Länder bei der Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen zu unterstützen, stellt der Bund im Zeitraum von 2027 bis 2036 insgesamt 2,6 Milliarden Euro zur Verfügung.

Intervention und Prävention:

Aus Sicht der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (BAG TäHG) ist das GewHG trotz Leerstellen ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Istanbul-Konvention (IK). Der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung sowie die finanzielle Beteiligung des Bundes für den Ausbau des Hilfesystems sind wichtige Fortschritte bei der Verbesserung des Betroffenenschutzes. Ebenso ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die Arbeit mit gewaltausübenden Personen und andere Maßnahmen der (Primär-)Prävention Eingang in das Gesetz gefunden haben. Auch wenn der Fokus des Gesetzes berechtigterweise auf der Schaffung eines bedarfsgerechten Schutz- und Beratungsangebots für gewaltbetroffene Personen liegt, ist die Berücksichtigung der Präventionsarbeit ein wichtiges Signal. Intervention und Prävention müssen endlich zusammen gedacht und parallel ausgebaut werden, wenn wir einen effektiven Gewaltschutz etablieren und darüber hinaus gewaltfördernde Strukturen überwinden wollen. Aus diesem Grund ist Prävention ein elementarer Bestandteil der IK und der EU-Gewaltschutzrichtlinie. Damit das GewHG in diesem Sinne umgesetzt wird, muss der Präventionsbereich auch in die Ausgangsanalysen, die Bedarfsplanung und die darauf aufbauenden Finanzierungskonzepte der Länder Eingang finden.   

Ausgangsanalyse und Entwicklungsplanung:

Das GewHG sieht in einem ersten Schritt die Erstellung von Ausgangsanalysen und Entwicklungsplanungen aller Bundesländer vor. Diese haben sich laut Gesetz am tatsächlichen Bedarf von Angeboten in ausreichender Zahl und angemessener geografischer Verteilung auszurichten. Alle benannten Bereiche, also auch die Vernetzungsarbeit, die Arbeit mit gewaltausübenden Personen und andere Maßnahmen zur Prävention von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, sind in die Analysen einzubeziehen (§ 8 Absatz 2 GewHG). Bis zum 31.12.2026 müssen die Analysen mit Entwicklungsplanung und Finanzierungskonzept vorliegen.

Bei deren Erstellung muss aus Sicht der BAG TäHG unbedingt gewährleistet werden, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel sowohl in zusätzliche Maßnahmen fließen als auch für den Ausbau bestehender Strukturen verwendet werden. Fachkräfte aus der Zivilgesellschaft sind bei der Erstellung der Ausgangsanalysen einzubeziehen.

Unstrittig ist, dass die Bereitstellung von diskriminierungsfreien wie niedrigschwelligen Angeboten für gewaltbetroffene Frauen und Kinder an erster Stelle stehen muss. Aktuell fehlen über 12.000 Frauenhausplätze, ein Großteil der Beratungs- und Schutzangebote ist nicht barrierefrei oder auf die besonderen Bedarfe von Personen mit Beeinträchtigung ausgerichtet.[1] Hier besteht, auch über das GewHG hinaus, akuter Handlungsbedarf.

Gleichzeitig müssen auch die anderen benannten Maßnahmen, wie im Gesetzestext formuliert, bei der Erstellung der Ausgangsanalysen berücksichtigt werden. So ist eine systematische und strukturierte Vernetzungsarbeit zwischen den Akteur*innen des Hilfesystems der Schlüssel für einen effektiven Betroffenenschutz. Nur in Kooperationsbündnissen kann Gewalt verhindert und in Fällen von Gewalt schnell wie zielgerichtet interveniert werden. Die BAG TäHG fordert deshalb, die im Gesetz benannte Unterstützung der Vernetzungsarbeit in den Ausgangsanalysen zu adressieren.  

Gleiches gilt für den Bereich der Prävention. Die Arbeit mit gewaltausübenden Personen ist in Artikel 16 der IK als Maßnahme zur Prävention von Gewalt festgeschrieben.[2] Gleichstellungsorientierte Täterarbeit ist ein wichtiges Instrument, um (weitere) Gewalt zu verhindern, Gewaltursachen zu bearbeiten damit auch den Bedarf an Schutz- und Beratungsplätzen für Betroffene zu verringern. Dabei ist es zentral, dass die Arbeit mit gewaltausübenden Personen die Qualitätskriterien nach den Anforderungen der IK erfüllt, von dafür ausgebildeten Fachkräften ausgeführt wird, am Betroffenenschutz ausgerichtet ist und in Kooperationsbündnissen stattfindet. Aus diesem Grund hat die BAG TäHG gemeinsam mit Bundesfamilienministerium und Verbänden der Betroffenenunterstützung den Standard zur Arbeit mit Tätern in Fällen von häuslicher Gewalt entwickelt.[3] 2022 forderte GREVIO, das Kontrollgremium zur Umsetzung der IK, Deutschland dazu auf, die Bemühungen zur Bereitstellung eines flächendeckenden Angebots von Täterarbeit nach Standard der BAG TäHG zu intensivieren.[4]

Dennoch bestehen sowohl zwischen als auch innerhalb der Bundesländer weiterhin große Unterschiede hinsichtlich der Finanzierung und Verfügbarkeit von Angeboten nach dem Standard der BAG TäHG.[5] Täterarbeit ist derzeit unterfinanziert und ungleich verteilt, insbesondere im ländlichen Raum bestehen erhebliche Versorgungslücken.[6] Um der aktuellen Unterfinanzierung entgegenzuwirken und durch einen Ausbau der Präventionsarbeit den Bedarf an Schutz- und Beratungsplätzen zu reduzieren, ist Täterarbeit nach dem Standard der BAG TäHG unbedingt in den Ausgangsanalysen und Finanzierungsplänen der Länder zu berücksichtigen. Nur wenn standardgebundene Angebote für gewaltausübende Personen (und andere Präventionsmaßnahmen) angemessen finanziert und ausgebaut werden, können wir die Wurzeln der Gewalt adressieren. Um die Arbeit in einer Einrichtung gemäß den Qualitätskriterien des Standards der BAG TäHG umsetzen zu können, bedeutet dies u.a., eine Mindestpersonalausstattung von zwei Vollzeitstellen (Fachkräfte, ohne Verwaltung) pro Einrichtung zu gewährleisten und entsprechend des Einzugsgebietes, der Erreichbarkeit und der Fallzahlen anzupassen.

Fazit:

Aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in allen Bundesländern und Bereichen werden die durch den Bund bereit gestellten Mittel nicht ausreichen, um die Schieflage im Gewaltschutz umfänglich zu beheben. Deshalb appelliert die BAG TäHG an den Bund, die Länder und Kommunen, weitere Schritte zur Verbesserung des Hilfesystems zu initiieren und die Anstrengungen zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen wie der IK und der EU-Gewaltschutzrichtlinie zu erhöhen. Wir brauchen langfristig ausgerichtete und ressortübergreifende Maßnahmen in Form einer Gesamtstrategie, die Schutz, Intervention und Prävention verknüpfen und die Überwindung struktureller Gewaltursachen unterstützen. Das GewHG kann bei einer zielgerichteten Umsetzung einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Dafür braucht es in einem ersten Schritt Ausgangsanalysen, die den tatsächlichen Bedarf benennen, auf eine umfassende Verbesserung des Status Quo abzielen und dabei konkret Intervention mit Prävention verknüpfen. Die Arbeit mit gewaltausübenden Personen muss bei der Verteilung der finanziellen Mittel berücksichtigt werden, ohne die fachberatungs- und Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt zu benachteiligen oder zu kürzen.


[1] Frauenhauskoordinierung e.V. (2025): Bundesweite Frauenhaus-Statistik 2024 [online] https://www.frauenhauskoordinierung.de/fileadmin/redakteure/PDF/2025-09-08_FHK-Statistik-2024_Langfassung_final_lk.pdf [08.10.2025].

[2] Europarat (2011): Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, [online] https://rm.coe.int/1680462535 [08.10.2025], S. 10. 

[3] BAG TäHG (2023): Arbeit mit Tätern in Fällen häuslicher Gewalt, Berlin: BMBFSFJ, [online] https://www.bmbfsfj.bund.de/bmbfsfj/service/publikationen/arbeit-mit-taetern-in-faellen-haeuslicher-gewalt-80734 [21.10.2025].

[4] GREVIO (2022): Erster Bericht des Expertenausschusses (GREVIO) zur Umsetzung des Übereinkommens des Europarats vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention) in Deutschland, [online] Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt [10.10.2025], S. 43.   

[5] Deutsches Institut für Menschenrechte (2024): Monitor Gewalt gegen Frauen. Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. Erster Periodischer Bericht, [online] Monitor Gewalt gegen Frauen [08.10.2025], S. 157 ff.

[6] Kavemann, Barbara et al. (2025): Bedarfsanalyse zur Prävention geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Kurzfassung, in: Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), [online] BMBFSFJ_Kurzfassung_Bedarfsanalyse_PraevGHG_Barrierefrei.pdf [08.10.2025], S. 28 und 32. 

Ansprechperson

Linda Conradi
Geschäftsleitung
info@bag-taeterarbeit.de

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